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STREIFZUG DURCH AIRAINES

​Die Straßen von Airaines, einem bezaubernden Dorf in der Picardie, dessen Stadtzentrum eine lebendiges Geschäftsleben bewahrt hat, sind übersät mit Denkmälern, die an die Konflikte erinnern, die der Somme schwere menschliche Verluste zufügten und sie lange Zeit in Fleisch und Seele gezeichnet zurückließen. Hier vermischen sich die schmerzhaften Spuren der Geschichte mit dem ruhigen Charme der Gegenwart. Die in Stein gemeißelten Namen und Figuren erinnern uns an die vom Krieg geraubten Leben und den Preis des Friedens. Doch Airaines, das sind auch religiöse Bauwerke, historische Überreste und Straßen, die zum Flanieren einladen. Lasst euch zu einem Spaziergang durch dieses hübsche Dorf verleiten und genießt mit mir paar Momente der Stille am Wasser.

Die Rue Saint-Denis und das Denkmal für Hauptmann N’Tchorere 

Starten wir in der Rue Saint-Denis 5, vor einem Mühlstein, der zu einem Brunnen umgewandelt wurde. Weiter hinten erinnert uns das erste Denkmal an den Einsatz afrikanischer Truppen in Frankreich, hier in der Person von Hauptmann N’Tchorere, der uns an eine schreckliche Episode am Ende des Sitzkrieges erinnert: Seine Truppen, die bis zum 7. Juni Widerstand geleistet hatten, wurden von der deutschen Armee gefangen genommen und unter Missachtung des Kriegsrechts erschossen.

Stumme Zeugin vergangener Jahrhunderte: Die Kirche Saint-Denis

Gegenüber dem Denkmal erhebt sich auf einer Anhöhe die Kirche Saint-Denis im Stil der Flamboyant-Gotik. Im 16. Jahrhundert erbaut, hielt sie den Wirren der Revolution stand und diente sogar während des Krieges von 1870 einen Tag lang als Gefängnis für 22 Einwohner von Longpré-les-Corps-Saints, die gegen die preußischen Invasoren zu den

Waffen gegriffen hatten, jedoch am nächsten Tag freigelassen wurden. Im Zweiten Weltkrieg blieb sie schließlich verschont, während Airaines zu 80 % zerstört wurde.

Ein Hauch von Sommer: Die Ruelle Mérin und sein plätscherndes Bächlein

Nun gehen wir in Richtung Rue de l’Hospice und biegen rechts in die Ruelle Mérin ein. Diese unscheinbare Gasse führt zu einer kleinen Brücke über einen Bach. Heute ist es heiß und das kristallklare seichte Wasser plätschert über ein Kieselsteinbett. Am liebsten möchte man die Schuhe ausziehen, um sich die Füße zu kühlen. Wagt man die Erfrischung nicht, so kann auch eine Pause auf der Mauer der Grasfläche, die zu dem Bächlein hinunterführt, das einst das Rad einer Mühle antrieb, die 2022 durch einen Brand zerstört wurde, bevor sie, wie es der Bürgermeister vorhatte, restauriert wurde. Durch ihre Fenster erspäht man vor dem Hintergrund eines azurblauen Himmels Bäume, die das Gebäude überwuchert haben, wo auch sonst ein Gewirr aus verkohlten Zahnrädern und Balken zu sehen ist. Vom Brand ist am angrenzenden Gebäude nur die von aufgerissener Spitze eingerahmte Türsprosse zu sehen, die den Blick in die Stille eines verwaisten in Dunkelheit getauchten Hauses fallen lässt. 

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Verblasste Werbung, lebendige Geschichte: Die Rue de l’Abbé perdu und das Priorat

Gehen wir nun durch die schmale Gasse und begeben uns zum Prieuré, indem wir der Rue de l’Abbé perdu folgen. Sie führt an einer Backsteinmauer entlang, die an den Garten des Prioré angrenzt und auf deren Gesamtlänge eine alte Werbung mit der Aufschrift „PERNOD FILS“ in längst verblichenen weißen Buchstaben auf blauem Hintergrund zu sehen ist. Wenn man um den Garten herumgeht, gelangt man zum Priorat von Airaines, das 1130 gegründet wurde. Von ihm und der angrenzenden Kirche Notre-Dame werde ich in einem gesonderten Artikel berichten. 

Zwischen Wachturm und Wiesen: Die Türme von Luynes und das Ende einer Festung

Die letzte Etappe unserer Tour führt uns nun zu den Türmen von Luynes. Sie stehen auf einem Hügel, der das Tal überragt. Von dieser ehemaligen Festung, die von tiefen, heute mit saftigem Gras bewachsen Gräben umgeben ist, sind nur noch diese zwei Türme, eigentlich sind es Ausfallpforten, und die Überreste der Umfassungsmauer erhalten. Wenn wir uns mit der Geschichte beschäftigen, entdecken wir die bewegte Vergangenheit eines Hügels, auf dem seit der Römerzeit ein Wachturm stand und später eine steinerne Burg, die immer und immer wieder zerstört und aufgebaut wurde. Die Türme, die man heute sieht, sind das Ergebnis der Restaurierung durch Charles-Philippe d’Albert de Luynes im Jahr 1620. Diese Restaurierung leitete den endgültigen Niedergang der Burg ein, der durch den Zweiten Weltkrieg vollendet wurde – vielleicht das Blutgeld, das Luynes dafür zahlte, dass er Concini, den Marschall von Ancre, zusammen mit zwei Häschern im Auftrag von König Ludwig XIII. ermordet hatte.  Dennoch umgibt diesen Ort keine Aura der Zerstörung. Ganz im Gegenteil: Hinter den Ausfallpforten öffnet sich eine weite, fast kreisförmige Grasfläche, die bei schönem Wetter zum Picknicken oder zum Faulenzen einlädt, wozu ich euch nun, am Ende dieses Spaziergangs in Airaines, einlade.

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