
MANESSIER UND DIE PASSION




Abseits der Hauptverkehrsadern erhebt sie sich in erhabener Schlichtheit – die Kirche Saint-Sépulcre von Abbeville. Doch wer zu erkennen vermag, was kein äußerer Glanz je vermitteln könnte, und den Entschluss fasst, ihr Tor zu passieren, dem offenbart sie ein strahlendes und zutiefst bewegendes Werk: die Kirchfenster von Alfred Manessier, einem Kind der Region, geprägt von den Picardie-Marschen und dem geheimnisvollen und außergewöhnlichen Leuchten des Krieges, wie er es selbst beschrieb. Hinter seiner flammenden Passion tritt eine intime und zugleich kollektive Erinnerung zutage.
Unerschütterlich im tosenden Weltwahn
Die Saint-Sépulcre-Kirche ist diskret, hält sich bedeckt; anders als die Stiftkirche Saint-Vulfran, die sich majestätisch im Herzen von Abbeville erhebt und schon von Weitem sichtbar ist – ob man über die Côte de la Justice oder die Route de Paris die Stadt betritt. Sie grüßt den Besucher auch nicht forsch wie die Kirche Saint-Gilles, die sich ohne Umschweife dem Betrachter darbietet. Nein, die Kirche des Heiligen Grabes (Saint-Sépulcre) steht bescheiden auf einem Platz, im Herzen der Stadt, und doch abseits ihres Trubels. Sie erinnert mich an einen Igel, zusammengerollt, um sich vor der menschlichen Gewalt zu schützen, die sie 1940 beinahe vollständig zerstört hätte, als ihre Gewölbe und einige ihrer Mauern einstürzten und ihre im Ersten Weltkrieg zerstörten und 1924 restaurierten Glasfenster zertrümmert wurden.
Alfred Manessier: das Kind und das Licht
Der 1911 im 30 km entfernten Saint-Ouen geborene Manessier, der 1993 im weit entfernten Orléans starb, verbrachte acht prägende Jahre seiner Kindheit in Abbeville. Im Jahr 1912 erwarben seine Großeltern mütterlicherseits, Ovide und Céline Tellier, ein großes Anwesen in der Grande Rue de Thuison. Dort wohnte er mit Ihnen und seinen Eltern und erlebte den Ersten Weltkrieg in einer Atmosphäre, die er als paradiesisch beschreibt und von der er erzählt: „Es war Krieg, und ich schäme mich, es zu sagen, aber ich habe außergewöhnliche Erinnerungen an Beleuchtungen, Brände, Feuerwerke, Geräusche und auch an ein Mysterium. Wir waren ständig in den Mooren, in der Natur.„* Diese Zeit löste vielleicht die Berufung zum Künstler in dem Mann aus, der im jugendlichen Alter von 13 Jahren sein erstes Aquarell in Le Crotoy schuf.
Ein Hohelied auf das Spiel von Licht und Farben
Manessier, der bereits in zahlreichen Kirchen in Frankreich und im Ausland Glasfenster gestaltet hatte, wurde 1982 von François Énaud, einem Inspektor der Denkmalpflege, gebeten, die Glasfenster der verwahrlosten Kirche des Heiligen Grabes in Abbeville neu zu gestalten. Der Maler hatte mit der Bescheidenheit des religiösen Gebäudes gemeinsam, dass er sich hinter sein Werk stellte, nicht aus übertriebener Demut, sondern weil das Werk „für sich spricht.“ Die Zurücksetzung des Künstlers äußerte sich darin, dass er sich in den Dienst des Gebäudes und seiner Umgebung stellte. Nicht er bestimmte das Werk, sondern seine tiefe Verbundenheit mit diesem Ort, der für ihn eine Ära verkörperte: geprägt vom Ersten Weltkrieg, der Abwesenheit des Vaters an der Front, dem Verlust der Großmutter im Jahr 1919, dem Krankenhausaufenthalt der Mutter nahe der Kirche Saint-Sépulcre und dem Ende der Kindheit, als er in ein Internat nach Amiens geschickt wurde. Und obwohl er als Kind sich vor der Kirche mit ihrer Darstellung der Grablegung gefürchtet hatte, spendete ihm die Rückkehr dorthin als Erwachsener „Freude und Trost“. Von da an ließ er sich von seinem Glauben, seiner Inspiration, dem Ort und dem Licht leiten und schuf nach Hunderten von Skizzen und Notizen ein Meisterwerk, das nicht nur seine Unterschrift trägt, sondern auch – nach seinem Willen – die der Handwerker und Gesellen, die zu seiner Entstehung beitrugen und unten am Stabat-Mater-Fenster angebracht sind.
Der Triumph des Lebens
Angesichts der Grablegung, der die Kirche geweiht ist, lag für ihn nahe, als Thema der Kirchenfenster, die Passion Christi, der Tod und die Auferstehung – für ihn die Erlösung aus dem Nichts – zu wählen. Die Passion Christi, zum ersten Mal in seiner Matthäus-Passion dargestellt, begleitete Manessiers Werk bereits seit 1948. In der Kirche Saint-Sépulcre, machte er aus der Passion eine Zelebrierung des Lichts, das immer wieder aus den dunkelsten Momenten hervorbricht. Und an diesem Ort, so nah den glücklichen Jahren seiner Kindheit und wo er am 5. August 1993 beerdigt wurde, beschloss er den Zyklus seines Lebens und seines Werkes.
* Manessier. Centre national des arts plastiques de Paris. Edité par Skira, 1992.
Weiterführende Lektüre: Manessier. Hymne à la lumière. Vitraux de l’église du Sa
int-Sépulcre d’Abbeville. Photographies : Éric Le Brun. Textes : Jean-François Cocquet
et Pierre Dhainaut. Éditions invenit.
Église du Saint-Sépulcre
4 place du Saint-Sépulcre
80100 Abbeville
Tel.: +33 3 22 20 27 05
Gottesdienste: https://messes.info/lieu/80/abbeville/eglise
Winteröffnungszeiten
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Samstag und Sonntag: Geschlossen
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Mittwoch: 9:30-13:00 Uhr, 14:00–-:00 Uhr
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