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Françoise Le Bris ist eine vielbeschäftigte Frau, die aber weiß, sich Zeit zu nehmen, um Gäste zu empfangen. Heute heißt sie mich in ihrem Büro im oberen Stockwerk von La Mangeoire willkommen. Ihr Telefon klingelt. Schnell nimmt sie den Anruf einer Kundin entgegen, die wissen möchte, ob sie am Nachmittag zum Essen kommen kann. Kein Problem, das Restaurant ist durchgehend geöffnet. Françoise legt auf und konzentriert sich wieder auf unser Gespräch. Diese Konzentration widmet sie jeder ihrer Aufgaben, was sie nicht daran hindert, flüchtige Blicke auf ihr Telefon zu werfen, wenn Nachrichten tönend eintrudeln. Alles, in ihrem Handeln ist anmutig und präzise, ohne Schnörkel, und vor allem verliert diese Frau mit gemessenen Gesten und von Kopf bis Fuß elegant trotz der zu erledigenden Büroarbeit, der Termine und anderer anstehender Aufgaben niemals ihre Gelassenheit und handelt mit einer ansteckenden Ruhe. Alles ist so organisiert, dass sie trotz ihres engen Zeitplans nie den Eindruck erweckt, man müsse sich beeilen.

 

Vor etwas mehr als sechs Jahren, auf Drängen ihrer Kinder, die fanden, sie könne vielleicht etwas kürzertreten, entschied sich die energische Bretonin, in ihre Heimatregion zurückzukehren, nach vierzehn Jahren als Restaurantbesitzerin und Bio-Weinhändlerin in einem zauberhaften Rahmen nahe dem Schloss Compiègne. Leichter gesagt als getan, wenn man wie sie den Beruf im Blut hat. „Man muss leidenschaftlich sein“, erklärt sie mir, „jedes Detail zählt: die Einkäufe, die Hygiene, der Empfang, die richtigen Mitarbeiter finden, den passenden Arbeitsrhythmus für sie festlegen.“ Françoise hat nicht nur einen Sinn für gute Dinge, sondern auch für die Menschen. Es scheint, als könne sie einen durchschauen, sie ist keine Frau, der man etwas vormachen kann – dazu ist sie zu erfahren. Sie betont, dass man Psychologie braucht, um ein Team zu formen und zu führen. So wie sie erzählt, kommt mir bei ihr eher das Wort Menschlichkeit den Sinn, so sehr scheint ihr das Wohlbefinden der Menschen um sie herum – ebenso wie das ihrer Gäste – am Herzen zu liegen. Es ist diese Leidenschaft, die sie wieder einholte, als sie, während sie damals über den Verkauf ihres Restaurants in der Oise nachdachte, eine Ausbildung zur Crêpemeisterin in Rennes absolvierte, mit dem Hintergedanken eine Haus am Meer zu kaufen, wo sie während der Touristensaison Galettes zubereiten würde. Doch das Schicksal hatte andere Pläne für sie.

 

Françoise, die durch ihr Gourmetrestaurant jahrelang kaum Freizeit gehabt hatte, machte damals einen Ausflug nach Amiens, eine Stadt, die sie seit fünfzehn Jahren nicht mehr besucht hatte. Es war ein Schock: „Gilles de Robien hatte dort amtiert“, präzisiert sie, so wie es auch viele Einwohner und Besucher von Amiens ausdrücken, wenn sie über den ehemaligen Bürgermeister sprechen, der das Gesicht der Stadt verändert hat – die dank ihm offener, heller, einladender geworden ist. Dieser Besuch verzauberte sie nicht nur, sondern war auch ein Zeichen der Vorsehung, denn La Mangeoire stand zum Verkauf. Es war Schicksal: Der Weg zu einem neuen Abenteuer stand offen.

 

So setzt diese Crêperie, die älteste Amiens, die nur wenige Schritte von der Kathedrale entfernt liegt und wo meine Eltern, mein Bruder und ich früher regelmäßig vor unsere Abendbesuche in der Eishalle gingen, nach vier oder fünf Besitzerwechseln eine Tradition fort, die mehr als ein halbes Jahrhundert alt ist, da sie 1972 gegründet wurde. Für Françoise Le Bris ist Qualität ein Leitmotiv, das sich in den Bio-Produkten und der hausgemachten Küche, die ihre Handschrift sind, widerspiegelt: Bei ihr wird alles, vom Gemüse bis zur (köstlichen) Vinaigrette, über die Crème Chantilly, fest, sahnig und dezent gesüßt, und den Salzkaramell täglich im Restaurant hergestellt. Nichts entgeht ihr. Sie weiß, dass ein Restaurant ein Ganzes ist, denn wie sie mir zu Beginn unseres Gesprächs erklärte, muss alles stimmen: die Qualität, der Geschmack, der Empfang, die Hygiene und die Kompetenz des Personals, das während des Mittags- und Abendtrubels hin und her wirbelt, dabei stets darauf achtet, Ratschläge zu geben oder zu warten, wenn nötig, auch wenn das Restaurant voll ist – ein Kunde darf nie gedrängt werden – und immer mit einem kleinen Scherz oder einem freundlichen Wort auf den Lippen auf die Wünsche der Gäste eingeht.

 

Françoise hat zweifellos ihr Projekt erfolgreich umgesetzt. Sie, die täglich drei Stunden fährt, um nach Hause zu kommen, ohne jemals die Autobahn zu nehmen, die sie verabscheut – außer vielleicht bei sehr schlechtem Wetter –, bevorzugt die Nebenstraßen, die ruhiger sind, wo man langsamer sein kann; vielleicht um den  hektischen Rhythmus ihres Berufs zu kompensieren, den sie beinahe sieben Tage die Woche ausübt und den sie erst aufgeben möchte, wenn die Lust nachlässt. Ihr nächster Termin rückt näher. Am Schluss unseres Gesprächs kommt sie ein wenig ins Träumen von einem Haus am Meer, wo sie gärtnern würde, eine andere Leidenschaft, durch die die selbstangebauten Kräutern der Crêperie zugutekommen, von Reisen, für die ihr die Zeit fehlt, vom Kochen, einer weiteren Leidenschaft, von Spaziergängen, die sie liebt, oder – auch wenn ihr Sohn sie nicht ernst nimmt – vom Kauf eines Wohnmobils, um mit ihren vier Katzen, zwei häuslichen Kartäusern und zwei abenteuerlustigen Europäern loszuziehen. All das sind im Moment nur Ideen, in einer noch undeutlichen Zukunft, denn die Frau, die mir anvertraut, dass sie schon vor ein paar Jahren in Rente hätte geheh können, ist derzeit nicht bereit, ihre Leidenschaft für die Gastronomie aufzugeben. Für mich steht fest, Françoise vermittelt den Eindruck, dass sie selbst in tausend Leben noch voller Projekte stecken würde.

 

La Mangeoire
Die älteste Crêperie in Amiens, gegründet 1972. Für mich ein Hauch Nostalgie.

 

Täglich durchgehend geöffnet (süß und herzhaft) von 11:30 bis 22:00 Uhr

 

3, Rue des Sergents
8000 Amiens
Tel.: + 33 3 22 91 11 28
Facebook: Crêperie La Mangeoire Amiens Centre Ville

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