

Ältere Leute verbinden Abbeville mit zwei Gerüchen: dem Geruch aus der Zuckerfabrik, von der heute nur noch der Schornstein inmitten eines Einkaufszentrums thront, und dem Geruch aus der Kaffeerösterei La Brûlerie, wo heute Rösttag ist. Ein warmer, runder, leicht gerösteter Geruch liegt in der Luft; ganz anders als der Geruch von frisch gemahlenem Kaffee. Die Ruhe im Laden wird durch das Getöse der frisch gerösteten Bohnen erschüttert, die von den Armen des Rösters zum Abkühlen bewegt werden. Guillaume Chastagner, der Besitzer dieses mehr als hundert Jahre alten Geschäfts, das sich in Abbeville in der Rue du Pont d’Amour, der Straße der Liebesbrücke, befindet, erklärt mir, dass die Hitze in den Bohnen schnell gestoppt werden muss, damit sie nicht verbrennen – ähnlich wie bei Nudeln, sagt er, die auch nach dem Herausnehmen aus dem Wasser noch weiterkochen.
Der ehemalige Sonderpädagoge und leidenschaftliche Kaffeetrinker hat sich vor vier Jahren, mitten in der Coronakrise, umorientiert. Nachdem er zwei Jahre lang über seine Entscheidung nachgedacht hatte, wagte er den Schritt und übernahm die Brûlerie, die seit 1920 eine Institution in Abbeville ist. Ursprünglich von der Familie Dupuis geführt, befand sie sich am Ufer der Somme, wurde jedoch während des Zweiten Weltkriegs zerstört und danach am heutigen Standort im schützenden Schatten der Stiftskirche Saint-Vulfran wiedereröffnet. Die Brûlerie ist ein Palast der Köstlichkeiten, in dem sich fast alles um Kaffee und Tee dreht und der eine Palette ausgewählter Produkte wie Kekse, Schokolade, Marmeladen oder auch Kaffee- und Teekannen anbietet. Es gibt aber auch lokale Produkte, Delikatessen und Rum, Gin und Sirups – selbstverständlich überwiegend aus kleinen Manufakturen. Kurzum, das einzige Problem hier ist die Qual der Wahl. Die Türklingel ertönt und kündigt mit schöner Regelmäßigkeit die Ankunft der Kunden an. Viele sind Stammkunden, die von Guillaume und seiner Verkäuferin Sophie wie Freunde begrüßt werden, ein Duo, das in einer fröhlichen Dynamik im Gleichschritt funktioniert.
Da der Vormittag dem Rösten gewidmet ist, holt Guillaume einen großen Sack, der mit noch grünen Bohnen aus Äthiopien gefüllt ist. Jutesäcke aus verschiedenen Herkunftsländern schmücken den Laden. Hier wird gereist: von Afrika über Australien bis nach Südamerika. Eigentlich“, erzählt Guillaume, “findet man Kaffee auf der ganzen Welt, vor allem entlang des Kaffeegürtels, der zwischen den Wendekreisen des Krebses und des Steinbocks verläuft“. Er schwärmt, dass in Indien oder Vietnam hervorragender Kaffee angebaut wird, auch wenn das nicht allgemein bekannt ist. Es gibt aber noch weniger bekannte Anbaugebiete, wie z. B. Australien, bei ihm durch den Skybury, eine außergewöhnliche Sorte, vertreten, oder die Insel La Réunion mit dem Bourbon Pointu, dessen Produktion, wie er bedauert, sehr begrenzt ist.
Er präsentiert mir eine Handvoll äthiopischer Bohnen, hart wie Steine, die vage an Pistazien erinnern und einen starken pflanzlichen Geruch verströmen, der an grünes Getreide erinnert, keineswegs unangenehm, aber nicht mit dem Duft der gerösteten oder gemahlenen Bohnen vergleichbar. Während die frisch gerösteten Bohnen weiter abgekühlt werden, wird der äthiopische Sack in einem Eimer geleert, bevor die Bohnen in den Trichter des Rösters gegossen werden, sobald die Maschine wieder die ideale Temperatur von 200 Grad erreicht hat. Danach dauert das Rösten etwa 20 Minuten, aber auch das ist eine Frage der Erfahrung, des Geruchssinns und des Gehörs. Man öffnet die Klappe, um die Bohnen zum Abkühlen bereitzustellen, wenn es klingelt, aber man riecht und hört auch, dass die Bohnen bereit sind. Die Aufeinanderfolge von Röstungen spart Energie. Hier wird der Kaffee in Abbeville in einem Ésat (einer Einrichtung, die Menschen mit Behinderungen die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in einem geschützten Umfeld ermöglicht) verpackt, ein logischer Schritt für den ehemaligen Sonderpädagogen, und später auf Wunsch des Kunden gemahlen, je nach Maschine oder Kaffeekanne. Guillaume ist unerschöpflich, wenn es um die verschiedenen Kaffeekannen, Maschinen und Kaffeesorten geht, die er bei einem Großhändler in Le Havre – noch eine Stadt der Reisen – bezieht. Der Kaffee und seine Zubereitung, erklärt Guillaume, hängen von der Zeit ab, die man zur Verfügung hat, von den Aromen, die man entfalten möchte, und von den Besonderheiten, die man sucht. Für ihn ist es eine Leidenschaft, der er sogar im Urlaub nachgeht, wenn sich die Gelegenheit ergibt, einen anderen Kaffeeröster zu treffen. Mit diesem Beruf schafft er qualitativ hochwertige Produkte für jeden Geldbeutel, ein Anliegen, das ihm sehr am Herzen liegt. Und mit rund 40 verarbeiteten Sorten kann er Preise anbieten, die für alle erschwinglich sind. In der Brûlerie führt er eine Tradition fort, der er seine persönliche Note verleiht. Der Vorbesitzer besucht ihn immer noch von Zeit zu Zeit und kann weiterhin sehen, wie seine alte Röstmaschine funktioniert, die bereits seit etwa 30 Jahren in Betrieb ist und die Guillaume so lange wie möglich erhalten möchte. Hoffentlich kann er zu gegebener Zeit die Fackel weitergeben, damit dieses Geschäft noch lange weiterbesteht – vielleicht noch weitere hundert Jahre.
Die Brûlerie
Seit 1920
Guillaume Chastagner
Handwerklicher Röster
13 rue du Pont d'Amour
80100 Abbeville
Tel.: +33 3 22 23 62 83
E-Mail: labrulerie.abbeville@gmail.com
Facebook: La brûlerie - Abbeville