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Die Moore der Somme existieren seit Urzeiten. Ihre Nutzung seit dem Mittelalter ist aber relativ neu. Heute weiß man jedoch, dass diese natürlichen Flächen zehnmal mehr Kohlenstoff binden als Wälder und dass sie daher dringend geschützt werden müssen, zumal der gebundene CO2 beim Verbrennen wieder freigesetzt wird.

 

Heute habe ich das Glück, an der Seite von Marc Dallery, einem Naturführer für den PNR (parc naturel régional) und Verantwortlichen für die Pflege der Moore in Longpré-les-Corps-Saints rund um das Maison des Marais, auf Entdeckungsreise durch die Moore zu gehen. Insgesamt gibt es zwischen Condé-Folie, Longpré-les-Corps-Saints, Long und Fontaine-sur-Somme 1.000 Hektar Moore. Es etwa 3.000 Hektar insgesamt an der Somme. 

 

Marc, ein leidenschaftlicher Naturliebhaber, beginnt mit seinen Ausführungen: Die aus den Torfmooren entstandenen Seen wurden durch die Hand des Menschen gebildet, der um 1300 an der Somme mit dem Torfabbau begann. Zu dieser Zeit gab es noch viele Wälder in der Picardie, aber der steigende Bedarf an Holz führte schließlich dazu, dass die Holzressourcen spärlicher wurden. Als sich die Rodung im 16. Jahrhundert intensivierte, nicht allein für den Bau von Wohnhäusern, sondern auch wegen der großen Anzahl von Schiffen, die vor allem im Rahmen der Konflikte mit England benötigt wurden, nahm das Torfstechen zu. Torf ist das Produkt einer pflanzlichen Zersetzung, die aufgrund des Fehlens von Zersetzern wie Schnecken und Würmern extrem langsam abläuft. Das Tal der Somme füllt sich im Herbst mit Wasser, so dass die Pflanzen mit einer Geschwindigkeit von einem Millimeter pro Jahr zersetzt werden können – ein schwindelerregendes Ergebnis, wenn man berechnet, wie alt die an manchen Stellen bis zu 10 Meter dicken Moorschichten sind. Der lehmige Boden und die Senke der Somme begünstigten die Entwicklung dieser Torfmoore, deren Produkt, der Torf, ein sehr billiger Brennstoff, jedoch weniger effizient als Holz oder Kohle, ist. Die Torfgewinnung war eine körperlich sehr anstrengende Tätigkeit, die sich über sechs Monate erstreckte. Anfangs war es mit dem vorhandenen Werkzeug nicht möglich, den Torf aus einer Tiefe von mehr als 1,5 Metern zu holen. Der so gewonnene Brennstoff, ein 1.500 Jahre junger Torf, war daher von schlechter Qualität. Erst mit der Erfindung der großen Schöpfkelle im Jahr 1786 durch Éloi Morel, einem Torfstecher aus der Somme, konnten Tiefen von bis zu sechs Metern erreicht werden. Ein Team von vier Männern konnte so 8.000 Briketts pro Tag produzieren. Die Männer förderten und stapelten, die Frauen waren dann für die Trocknung zuständig. In den 1910er Jahren begann der Niedergang des Torfs, der durch Kohle, vor allem aus Nordfrankreich, verdrängt wurde. Bis in die 1960er Jahre wurde der Torf dann hauptsächlich für den Gartenbau und den Gemüseanbau verwendet und weiterhin von den alten Torfstecherfamilien als Heizmittel genutzt. Heute sind die Torfmoore durch das Ramsar-Siegel geschützt, das den Torfabbau verbietet. Das Torfstechen, das den Reichtum der Gemeinden rund um die Moore begründet hatte, markierte mit seinem Verschwinden ihren wirtschaftlichen Niedergang.

 

Marc wird durch die Ankunft des ehemaligen Bewohners des Maison des 

Marais unterbrochen. Bevor es zum Tourismusbüro umgebaut wurde, war es nämlich im Besitz des Dorfnotars, der es vermietete. Der ehemalige Mieter erzählt wehmütig von der Zeit, als er das Privileg hatte, in dieser üppigen und ruhigen Umgebung mit einem atemberaubenden Blick auf die Seen und die Kirche von Long auf der Anhöhe in der Ferne zu leben. Damals hatte das Haus allerdings noch kein Stockwerk.

 

Marc führt uns dann auf einen Steg und erklärt uns, dass das Wasser des Étang de la Fontinette seine Transparenz den Helophyten verdankt, Sumpfpflanzen, deren Wurzeln und Rhizome in wassergetränktem Boden wachsen, die die Seen umgeben und säubern. Die Transparenz des Wassers ermöglicht die Photosynthese der Wasserpflanzen, die wiederum das Wasser mit Sauerstoff anreichern. Dadurch wird das Wasser so rein, dass es durch einfaches Filtern trinkbar gemacht werden könnte. Unser Guide zeigt auf die gelben und weißen Seerosen. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, als die Menschen eine Vorliebe für asiatische Kunst und Kultur hegten, wollte man Lotusblüten importieren. Das war unmöglich, da diese nur vier Tage leben und die Einfuhr aus dem fernen Osten zu lange dauerte. So wurden die Seerosen aus den Seen der Somme, Verwandte der orientalischen Lotusblumen, bis in die 1930er Jahre geerntet und am Bahnhof von Le Câtelet oder Longpré-les-Corps-Saints verfrachtet, um die Tische der großen Restaurants und Hotels Paris zu schmücken.

 

Der Sumpf bildet auch ein riesiges Reservoir an Ess- und Heilflanzen. Marc stellt uns den wilden Hopfen vor, der beruhigend wirkt, die Spirea, ein pflanzliches Aspirin, oder auch den Beinwell, aus dessen Wurzel die Römer schon Brei-Umschläge zur Heilung von Knochenbrüchen herstellten. All diese Vegetation muss gepflegt werden, wenn man nicht will, dass die Moore verschwinden, weil sie von Holzgewächsen überwuchert werden, von denen einige obendrein nicht verrotten. Da früher die Torfstecher nur sechs Monate im Jahr arbeiteten, wandten sie sich das restliche Halbjahr dem Fischfang und der Jagd auf Wasservögel zu, um sich in der kargen Jahreszeit mit Proteinen zu versorgen. Dadurch begannen sie die Sümpfe zu pflegen, eine Tradition, die bis heute von manchen Anglern und Jägern fortgeführt wird. Wir setzen unsere Wanderung um den See fort. Marc erzählt von unzähligen Blumen, Insekten, Fischen und Vögeln und zeigt uns damit die unermessliche Vielfalt dieses Ortes dessen natürlichen Gleichgewichts, es zu erhalten gilt. Grüne, blaue und rote Libellen fliegen umher, verfolgen sich, paaren sich und lassen sich als grazile, farbige Blitze auf Gräsern nieder, die sie nicht einmal zum Wanken bringen. Marc pflückt einen Zweig Wasserminze, deren intensive Schokoladennote uns auf unserem Spaziergang begleitet. Dann zeigt er uns ein Pfeilblatt und seine eleganten, einfachen, makellos weißen Blüten mit purpurrotem und zartgrünem Herzen, einen Wald-Ziest, dessen Blüten wie winzige Orchideen wirken, oder auch eine Kohldistel, die besonders Bienen und andere bestäubenden Insekten anlockt.

 

Wir stoßen noch auf ein paar Angler, bevor wir uns auf den letzten Teil des Rundwegs begeben, einen von Weiden gesäumten Pfad. Während in Long die Sümpfe von Camargue-Pferden gepflegt werden, werden hier im Moment Kühe eingesetzt. Die ausgewählten Charolais-Kühe sind jedoch nicht besonders angetan von dem, was ihnen „auf dem Teller serviert“ wird, und trampeln mehr, als dass sie fressen. Daher sind sie viel weniger effizient als die Pferde aus der Nachbargemeinde; rustikalere Highlands, Ziegen oder Schafe, die das Gehölz fressen würden, würden sich besser eignen. Der Weg, dem wir nun folgen, wird von Dickicht gesäumt. Es wachsen hier Baumfarne, wie man sie aus tropischen Gewächshäusern kennt, und für einen Moment könnte man meinen, man sei in Südamerika. Als ich mich wundere, dass nicht sonderlich viele Vögel zu hören, erklärt Marc, dass sich die Vögel Ende August in der Mauser befinden und daher besonders gefährdet sind, da sie weniger agil und flink sind, weshalb sie sich jetzt nicht zeigen.

 

Unser Spaziergang neigt sich dem Ende zu. Weißdorn, Hagebutten, Holunder, wir laufen an einer wahren Speisekammer für Mensch und Tier entlang. Einziger Wermutstropfen in dieser so unberührten Umgebung: Ein Zaun, der eine Zone der Stille schützen sollte, wurde aufgerissen. Seit einem Jahr wird er Stück für Stück geplündert. Marc nimmt es philosophisch. Wenn alles weg ist, soll er durch einen Schafzaun mit größeren Maschen ersetzt werden, der für Diebe weniger interessant ist und bestimmte Tiere besser durchlässt. 

 

Wir beenden den Spaziergang mit einigen Erklärungen zu den naturbelassenen Flächen und ihren Vorteilen für die Artenvielfalt. Marc erzählt uns auch von der Legende der Großmutter Fisch, die den Kindern erzählt wurde. Man sagte ihnen, sie sollten sich von den Ufern fernhalten, wenn sie nicht von der furchterregenden Ahnfrau gefangen und in die Tiefen des Wassers gezogen werden wollten.

 

Bevor ich gehe, frage ich meinen Guide, welches Studium er absolviert hat, um ein so vielfältiges Wissen zu besitzen. Tatsächlich war Marc Sportvertretungslehrer und wurde fast zufällig zum Verantwortlichen der Maison des marais. Vor circa zehn Jahren, war er Mitglied des Planungsbüros und der Planungskommission für die Einrichtung des Vogelschutzreservats Grand-Laviers und wurde deshalb vor fünf Jahren aufgrund seiner umfangreichen Kenntnisse der regionalen Flora und Fauna, zu diesem Posten ernannt. Er nahm die Aufgabe zwar an, ist sich inzwischen aber nicht sicher, wie lange er sie noch ausüben wird. Er ist der Meinung, dass die Entwicklung des Naturreservats derzeit ins Stocken geraten ist, insbesondere was die Neugestaltung des Zugangs zur Fahrradroute oder die Sichtbarkeit des Maison des Marais betrifft. 

 

Ich danke Marc dafür, dass er sein wertvolles Wissen mit mir geteilt hat. Hoffen wir, dass sich eine Lösung für diese Situation finden und er noch lange sein Wissen und seine Leidenschaft weitergeben wird.

 

Praktische Informationen, wenn ihr die Vorzüge der Stille und einer unberührten Natur schätzt.

 

Warnung!

Das Baden in den Torfseen ist verboten. Ihr klares, ruhiges Wasser lädt zwar zum Baden ein, doch diese Ruhe trügt, denn diese Gewässer können schnell zu tödliche Fallen werden, wenn man z. B. mit den Füßen in den Wasserpflanzen hängen bleibt oder im Schlamm versinkt, insbesondere, weil diese Gewässer sehr unterschiedliche Tiefen aufweisen. Es ertrinken nicht selten Leute dort.  

 

Ausflüge von April bis September. 

Entdeckung des Sumpfes mit dem Kanu.

Entdeckung der Sehenswürdigkeiten des Torfmoors.

Bukolische Spaziergänge in traditionellen Booten.

Ausflüge zur Entdeckung der Vogelstimmen des Sumpfes (Juni).

 

Auskünfte im Maison des Marais

Rue de l'Ancienne Gare (Straße des alten Bahnhofs)

80510 Longpré-les-Corps-Saints 

Geöffnet vom 1. April bis zum 30. September.

Mittwoch bis Sonntag von 9:30 bis 12:30 Uhr und von 13:30 bis 18:00 Uhr

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