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Tout pour l’Ouvrier

Die Boutique Tout pour l’Ouvrier in Abbeville kenne ich schon mein ganzes Leben. Und das aus gutem Grund: Sie feiert dieses Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Nicht einmal der Zweite Weltkrieg konnte ihr etwas anhaben. Nach dem Bombenhagel, der im Mai 1940 auf Abbeville niederging, wurde das Gebäude, in dem sich das Geschäft seit seiner Gründung im Jahr 1924 befand, ausgelöscht. Nach dem Krieg wurde an seiner Stelle ein neues Gebäude errichtet, in dem das Geschäft wieder untergebracht wurde, so dass es seit den 1920er Jahren eigentlich nie den Standort gewechselt hat. Stattdessen wurde das Geschäft nach Ludovics Ankunft sukzessive vergrößert. Noch sehr klein zu Beginn des 20. Jahrhunderts besaß es jedoch eine Schneiderwerkstatt im erste Stock. Das Firmenschild ist seit meiner Kindheit unverändert geblieben. Zum Glück, denn es ist Teil der Seele des Ortes. Auch wenn nichts auf dieser Welt unveränderlich ist, gibt es Dinge, bei denen es manchmal beinahe so ist, und das ist gut so – es beruhigt uns, in einer Zeit, wo alles um uns herum schnelllebiger und hektischer wird. Die Vergangenheit ist hier überall spürbar in Form von Postern, eingerahmten Löschblättern, alten Werbeobjekten, Schwarz-Weiß-Fotos und sogar einem Porträt von Ludovics Urgroßvater, als er mit seinem Hund in Le Crotoy auf die Jagd ging. Die Schriftstellerin Colette, die sich bei der Herzogin von Morny aufhielt, war von dem gutaussehenden Mann mit den hellen Augen begeistert, den sie eines Tages an der Theke eines Cafés lehnen sah. Als sie ihn fragte, ob er Fischer sei, antwortete er keck, er stünde Modell für Fotografen.

 

Hier sind wir weit, weit entfernt von den standardisierten modernen Geschäften, deren Schaufenster jede Woche wechseln, um eine Kundschaft zu ködern, die nach schnell verblassenden Neuheiten giert, deren Qualität ebenso kurzlebig ist. Hier nimmt man sich Zeit für die Beratung des Kunden, der den Laden verlassen soll, ohne an seinem Kauf zu zweifeln. Wie der Name nicht vermuten lässt, Tout pour l’Ouvrier, Alles für den Arbeiter, verkauft heutzutage nicht mehr ausschließlich Berufskleidung, obwohl dies nach wie vor sein Kerngeschäft ist. Aber ein Name verkörpert eine Identität, einen Geist, eine Philosophie, die haften bleibt: Neben Funktionalität, Komfort und Schutz muss die Kleidung der Arbeiter auch langlebig sein, Eigenschaften, die sich auch in der hier verkauften Straßenkleidung wiederfinden. Und genau das drückt die Identität dieses Ladens aus: Qualität und Tradition in den Vordergrund zu stellen, mit zum Teil sehr alten Marken wie den Laulhère-Baretten, deren Produktion 1840 von dem bereits seit 1792 bestehenden Haus in der Béarnaise aufgenommen wurde, oder dem 1896 gegründeten Madrider Handschuhhersteller Santacana.

 

Wenn ich Ludovic Lefillatre treffe, ist es genau diese Liebe zur Tradition und zur Qualität, die durchscheint - was ihn nicht daran gehindert hat, als einer der ersten in der Gegend eine Internetseite einzurichten, ein Schritt, den dieser Mann, der sich seit seinem siebzehnten Lebensjahr für Computer interessiert, mit Leichtigkeit ging, was damals wahrscheinlich sein Geschäft im aufkommenden digitalen Zeitalter, in dem die traditionellen Geschäfte in der Umgebung zu sterben begannen, rettete. Tout pour l’Ouvrier ist streng genommen keine Familienunternehmen, aber fast. Ludovic trat 1992 in die Firma ein; heute vor fast 33 Jahren. Damals war er 20 und folgte seiner Mutter, die den Laden übernommen hatte und ihn 17 Jahre lang leitete. Die kinderlosen Vorbesitzer suchten einen Nachfolger, und die Frau aus Le Crotoy, einem Fischerdorf an der Küste, die bald von ihrem Sohn unterstützt werden sollte, wählte diese Herausforderung. Ludovic erzählt mir mit seiner sanften, ruhigen Stimme die Geschichte des Ortes, eine mit vielen Anekdoten gespickte Geschichte, und erklärt mir die Produkte und Stoffe für die verschiedenen Berufe, vom Zimmermann über den Steinmetz bis hin zum Holzfäller. Seine hochspezialisierte Produktpalette ist zwar traditionell für Arbeiter, Handwerker und Künstler bestimmt, aber heute wenden sich auch Filmproduktionen, historische Reenactments, Folkloregruppen oder Privatkunden, die Qualität suchen, an ihn. Und das Konzept geht auf, den er verkauft in ganz Europa und sogar auf dem amerikanischen Kontinent. Um ihn herum schloss hingegen ein Traditionsgeschäft nach dem anderen. Eines der letzten, der Schuhhändler Deguerville, war seit 1964 in Abbeville ansässig. Ein wenig von seiner Tradition wird weiterleben, denn Ludovic konnte die Marke Gatine übernehmen, einen französischen Hersteller von Schuhen für Landarbeiter und Viehhändler, die gleichzeitig so schön und bequem sind, dass sie sich als Freizeitschuhe eignen. Was Ludovic verkauft muss ihm gefallen und Spaß machen. Ob „seriöse“ Marken für die Arbeit oder „Fun“-Marken im sportlich-eleganten Stil, alle haben eine Gemeinsamkeit: ihre tadellose Qualität. Außerdem lässt er bestimmte Artikel unter anderem nach praktischen Gesichtspunkten herstellen, wie zum Beispiel den Malerkittel, den man nur bei ihm findet. Was ihm auch gefällt, ist die Zusammenarbeit mit kleinen Unternehmen, die den Vorteil einer flexiblen Gestaltung bieten und zweifellos einen ausgeprägten menschlichen Charakter haben. All dies ist der Grund für seinen ursprünglich auf der Reputation des alten Hauses Tout pour l’Ouvrier  aufgebauten Ruf, den er und seine Mutter jedoch zu bewahren und zu stärken wussten.

 

Dieses Jahr beginnt die Schule am 2. September, sodass einige Eltern, die am 31. August aus dem Urlaub zurückgekehrt sind, nur wenig Zeit hatten, um alle Schulsachen zu kaufen. Ludovic hat daher beschlossen, am Sonntagnachmittag zu öffnen, damit auch die Nachzügler sich mit Kitteln für ihre Kinder eindecken können. Einige der Kunden, die am 1. September kommen werden, kamen vielleicht bereits als Kinder mit ihren Eltern oder Großeltern.  Ludovic, der weiß, dass die Kinder von heute die Kunden von morgen sind und den Fortbestand seines Geschäfts sichern, hat alle Karten in der Hand, um sie an sich zu binden.

 

Tout pour l’Ouvrier

Seit 1924

17 place Max Lejeune

80100 Abbeville

 

Geöffnet Dienstag bis Samstag von 9.00 bis 12.30 Uhr und von 14.00 bis 18.45 Uhr und Montag von 9.00 bis 12.00 Uhr und von 14.00 bis 18.45 Uhr.

 

Tel.: +33 3 22 24 28 43

E-Mail: toutpourlouvrier@wanadoo.fr

Internet: www.toutpourlouvrier.fr

Facebook: Tout Pour l’Ouvrier

Instagram: toutpourlouvrier  

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