top of page
Grotte de Picquigny 3 la statue de Marie.jpg

LOURDES IN PICQUIGNY

Jedes Jahr, am 15. August, ergreift ein ganz besonderer gläubiger Elan Picquigny, wenn vor der Nachbildung der Grotte von Lourdes eine zugleich feierliche und innige Messe zu Mariä Himmelfahrt zelebriert wird – ein Moment, der diesen einzigartigen Ort volkstümlicher Frömmigkeit zum Vibrieren bringt. Dieses Jahr bin ich dabei.

Eine sengende Sonne, Weihrauchschwaden und der Duft von Gebäck
Die Sonne brennt, die Luft flirrt über dem Platz doch eine Frau lächelt mir zu und sagt: „Am 15. August ist das Wetter immer schön zur Messe.“ Die Menschenmenge ist groß und fröhlich – noch vor dem Gottesdienst werden Rosenkränze ausgeteilt. Man drängt

sich, um in der Grotte Kerzen anzuzünden. Dieser Ort mit der Marienstatue in der Höhe erinnert wirklich an Lourdes. Die Inbrunst ist während des gesamten Gottesdienstes spürbar. Kurz bevor die Messe zu Ende geht, stellen Freiwillige Tische auf und der Duft von noch warmen Chouquettes* und Brioche kitzelt meine Nase, und weckt dabei eine ferne Erinnerung an Daudets „Die drei stillen Messen“, in denen die Gläubigen von der verlockenden Aussicht einer reich gedeckten weihnachtlichen Tafel abgelenkt werden.

 

Gebete in Stein gemeißelt
Zwei Chouquettes und ein Glas Sekt später mache ich mich auf den Weg zur Grotte, in der ein paar Frauen beten und Kerzen anzünden. Einige Votivtafeln in der Felswand drücken Dankbarkeit aus, eine davon wahrscheinlich, weil deren Auftraggeber den Sitzkrieg zwischen 1939 und 1940 überlebt hat. Ich zünde ebenfalls eine Kerze an, denke an meine Verstorbenen und schließe mich den Gläubigen an, die sich nun in alle Winde zerstreuen.

Lourdes, nicht nur in Lourdes

Es gibt zahlreiche Nachbildungen der Grotte von Massabielle in Lourdes. 2015 gab es 765 davon in Frankreich. Die Somme bildet mit ihren Grotten in Ramburelles, Vron, Hérissard, Nouvion usw. keine Ausnahme. Besonders prächtig ist jedoch die Grotte in Picquigny, dem Dorf, in dem der französische Herrscher Ludwig XI. und der englische König Edward IV. 1475 den sogenannten Frieden von Picquigny unterzeichneten, der den Hundertjährigen Krieg offiziell beendete.

 

Eine göttlich Zuflucht im der Felswand

Diese natürliche Grotte im Kreidefelsen, der von der Stiftskirche Saint-Martin und den Überresten des Schlosses der Vidamen von Amiens überragt wird, ist Ausdruck des Glaubens einer ländlichen Bevölkerung, deren einzige Reise manchmal die Pilgerfahrt nach Lourdes war. Sie befindet sich am ehemaligen Ausgang eines Kreidebruchs, wo seit dem Mittelalter Steine abgebaut wurden, die zum Bau von Schlössern, Kirchen, Kapellen usw. verwendet wurden. Es handelt sich jedoch nicht bloß um eine einfache Höhle: Hier suchten die Bewohner des Dorfes während der Bombenangriffe bei der Befreiung im August/September 1944 Schutz.

 

1938: Beten, um den Krieg abzuwehren

Anlässlich eines Marienjubiläums am 7. August 1938 gesegnet, zog die Grotte mit ihrer Statue der Jungfrau Maria gleich darauf in den Tagen vor Mariä Himmelfahrt viele Gläubige an. In dieser besonderen Zeit, in der das Säbelrasseln von Tag zu Tag immer lauter wurde, wurde am 18. September eine Prozession veranstaltet. Etwa 500 Gläubige aus den Gemeinden Belloy-sur-Somme, La Chaussée-Tirancourt und Picquigny flehten die Madonna an, die bedrohliche Geißel des Krieges von der Welt abzuwenden – leider vergeblich.

 

* Brandteigbällchen mit Hagelzucker

** Achim Hall - Alphonse Daudet - Die drei stillen Messen (YouTube)

bottom of page