
Le Bas Bleu



Heute Morgen bin ich mit Katharina Crespo, der Besitzerin des Schlosses Le Bas Bleu in Quesnoy-le-Montant, verabredet. Auf schmalen, von kahlen Bäumen gesäumten Straßen und an Kreidehängen vorbei erreiche ich das auf einer Anhöhe gelegene Dorf. Der Winternebel legt einen feuchten Film auf der Fahrbahn. Kein Mensch weit und breit und am Tor keine Klingel. Eh ich darüber nachdenken kann, wie ich mich bemerkbar machen kann, eilt eine Gestalt herbei, lebhaft, passend zur kalten Januarluft; ihr langer Mantel flattert hinterher. Sie öffnet das Tor, winkt mit einem Lächeln ab, als ich ihr anbiete einzusteigen, dabei auf ihre mit Erde verschmutzten Gummistiefel deutend: Sie hatte den Männern, die hinter dem Haus mit dem Fällen von Bäumen beschäftigt sind, gerade Kaffee gebracht. „Haben Sie Angst vor Hunden?“, erkundigt sie sich. Da dies nicht der Fall war, schlüpft sie zugleich in den rechten Flügel des Schlosses und gibt mir ein Zeichen, ihr zu folgen. Kaum eingetreten, werde ich von einem besonders anhänglichen Weimaraner begrüßt, der mir mit seinen azurblauen Augen tief in die meinen blickt und mich überschwänglich willkommen heißt.
Während Katharina Kaffee kocht und ihre Stiefel auszieht, lädt sie mich ein, in der Küche Platz zu nehmen – ein Raum, in dem man viel Leben spürt. Shonks, der Weimaraner, begrüßt mich weiterhin voller Begeisterung. Wir nehmen unsere Tassen und wechseln ins Wohnzimmer, wo wir uns in tiefen, roten Samtsofas niederlassen – in einer Atmosphäre des frühen 20. Jahrhunderts, die Agatha Christie bestimmt gefallen hätte. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre erwarben Katharinas Eltern dieses Schloss, wo die gebürtige Münsterländerin als Kind und Jugendliche oft Zeit verbrachte – umgeben von zahlreichen Künstlern, die ihr deutschstämmiger Vater, ein frankophiler Schriftsteller, und ihre bretonische Mutter, eine Psychologin, freigebig empfingen.
Nachdem die Entscheidung damals fiel, eine Immobilie in Frankreich zu erwerben – nicht allzu weit von Deutschland entfernt, um häufig dorthin reisen zu können, nahe am Meer und in überschaubarer Entfernung zu Paris –, machte sich die Familie während der Herbstferien auf die Suche nach einem Schloss. Das in Quesnoy-le-Montant erfüllte alle Kriterien und wurde bald zum Feriendomizil der Familie. Viele Jahre später, nach fünfzehn Jahren als Bühnenkünstlerin, beschloss Katharina sich dem Schreiben zu widmen, benötigte aber eine Einkommensquelle. Sie entschied sich, das Schloss zu übernehmen, das ihre Mutter verkaufen wollte und so entstand das Projekt für Gästezimmer und Ferienwohnungen.
Im Jahr 2023 gründete sie ihr Unternehmen und begann mit Renovierungsarbeiten, darunter sowohl Dekorationsmaßnahmen als auch der Schaffung neuer Zimmer und Bäder. Nach sechs Monaten intensiver Arbeit eröffnete Katharina ihre erste Saison mit zwei Gästezimmern und drei Ferienwohnungen. Dieses Jahr werden es vier Zimmer sein. Eine der Ferienwohnungen wird wahrscheinlich ausfallen – ein Wasserschaden, bedauert sie. Die zweite Renovierungsphase läuft, und die Saison, die im März beginnt, rückt näher, doch Katharina gerät nicht in Panik. Alles zu seiner Zeit – sie widmet sich ihren Herzensprojekten mit Hingabe. Dafür sind man manchmal Opfer nötig: Um die zwei neuen Zimmer erschaffen zu können, ist sie mit ihrem Sohn in eine Wohnung unters Dach gezogen – immerhin mit einer atemberaubenden Aussicht auf das Dorf und die umliegende Landschaft.
Doch allein eine Unterkunft zu betreiben genügt der umtriebigen Katharina nicht. Im Schloss finden Konzerte und Theaterstücke statt, organisiert vom Verein La Vie de Château, dessen Ziel es ist, ein kulturelles Leben im Schloss zu etablieren und die Gebäude sowie den Garten zu erhalten. Katharina, die in einem künstlerischen und literarischen Umfeld aufgewachsen ist, möchte zudem Künstler in Residenz einladen – etwas, was sie bereits vor einigen Jahren privat ausprobiert hat. Vorerst jedoch gilt es, sich auf das Wesentliche zu fokussieren: Die bevorstehende Saison wird wohl die härteste werden, da sie noch kein Personal einstellen kann. So kümmert sie sich selbst um die Gästezimmer, den üppigen Brunch, der im elegant blau-golden tapezierten Speisesaal serviert wird (bei Gästezimmern im Preis inbegriffen, bei Ferienwohnungen auf Anfrage), aber auch um die Zusammenstellung der Käse- und Wurstplatten, die sie nachmittags und abends anbietet – auf Wunsch begleitet von Wein oder Bier. Obwohl sie derzeit kein Publikum von Außerhalb empfangen kann, denkt sie bereits über die Einrichtung einer Weinbar nach.
Die energiegeladene Frühvierzigerin mit dem verschmitzten Lächeln, der an Amélie Nothomb erinnert, nimmt mich nun mit auf einen Rundgang durch den Musiksaal mit seinen roten Wänden und der Büste einer Muse, wo die Konzerte stattfinden. Anschließend öffnet sie mir die Türen zur poetisch raffinierten Welt der Gästezimmer: des blauen Zimmers, der russischen Dichterin Marina Iwanowna Zwetajewa gewidmet, des roten Zimmers, das an die göttliche Sarah Bernhardt erinnert, des weißen Zimmers, eine Hommage an Anaïs Nin, und des neuesten, das die deutsch-russische Schriftstellerin, Philosophin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé ehrt – gestaltet in beruhigenden Grün- und Holztönen. Jedes einzelne Zimmer spiegelt Liebe zum Detail, einen zeitlosen Sinn für Eleganz und Romantik wider. Und überall – wie ein roter Faden – asiatische Schirme, ein orientalischer Geist, der sich auch in Katharinas Büro widerspiegelt und, wie sie mir erklärt, auf ihre indischen Wurzeln verweist. Überall auch Familienporträts – einer realen oder erfundenen Verwandtschaft –, doch das spielt keine Rolle, denn sie besitzen die Macht, den Besucher zu verzaubern. Und schließlich, ganz oben unter dem Dach: ein Miniaturtheater, dessen Bullaugen-Fenster an Dachböden mit Truhen voller alter Kleider und Hüte von Vorfahren erinnern, in die Kinder schlüpfen, um Geschichten zu erfinden und Erwachsensein zu spielen.
Eh ich aufbreche, zeigt mir Katharina stolz die frisch gepflanzten Reihen von Zypressen, die die Wege markieren, an denen die Gäste später bei ihren Spaziergängen entlangflanieren werden. Der Besuch neigt sich dem Ende zu. Die Zeit ist verflogen, und andere Verpflichtungen rufen die Schlossherrin. Der Nebel hat sich nicht gelichtet, und so folge ich der sanft geschwungenen Auffahrt hinaus aus diesem Ort, der die Epochen und Emotionen auf sanfte Weise durcheinanderwirbelt, dessen natürlicher Charme den Besucher gefangen nimmt und ihn unmerklich auf Pfade der Fantasie entführt.
Château Le Bas Bleu
Katharina Crespo
1 rue du Château
80132 Quesnoy-le-Montant
Tel.: +33 (0)7 81 82 68 47
Mail: bonjour@chateaulebasbleu.com
Internet: https://www.chateaulebasbleu.com/